Gerade habe ich bei Umräumarbeiten im Bücherlager ein maschinengeschriebenes Blatt mit einer wundervollen Beschreibung der Bildzeitung gefunden. Ist zwar schon bestimmt schon einige Zeit her, als BILD noch 10 Pfennig gekostet hat (keine Ahnung, wieviel dafür heute fällig werden, aber es müssen ja auf jeden Fall Cents sein) aber ich glaube, das alles trifft auch heute noch den Nagel auf den Kopf:
Willst du das Zeitgeschehen erfassen, dich bestens unterrichten lassen,
dann kauf dir statt ner Chesterfield lieber ´ne 10 – Pfennig Bild.
„Menschenmord im Schneegestöber, Rattengift in Gänseleber!
14 Tote – Zug entgleist; Adenauer abgereist.
Gattenmord in Ehebett; Verbrennungstod im Nierenfett!
Einbruchdiebstahl in WC; Schwein ertrank im Bodensee.
Bäcker fiel in Jauchegrube; Schlägerei in Bauernstube.
Untermieter totgeschlagen – Täter floh im Kinderwagen!“
Zweieinhalbmillionen Leser, von der Donau bis zur Weser,
Vater, Mutter, Greis und Knabe warten auf die Bild – Ausgabe.
„Hund biß Kind aus Eifersucht; Raubmörder ergriff die Flucht.
Mann fiel in die Melkmaschine; Keilerei in Werkskantine.
Greis ein Auge ausgeschlagen; Eisenhower hat’s am Magen!
Polizei verfolgt Sadist; Bauernbursche warf mit Mist.
Mäusegift im Kuchenteig – Angeklagter wurde weich:
Riesensummen unterschlagen; Kronjuwelen im Mantelkragen!“
Hat der Leser dies erfahren, schlägt es ihm gleich auf den Magen.
Diese Dinge, die passieren, bringen ihn zum fantasieren;
Hinter Bäumen, Hecken, Mauern sieht er Mörder, die da lauern
Und ihn mit Messern, Dolch, Pistolen ihn ins Reich der Träume holen.
Doch am nächsten Morgen dann schafft er gleich `ne Bild sich an
Um etwas für die Bild-ung zu tun und danach sich auszuruh’n.
Und er denkt, er sei gescheiter, geht es doch gleich wieder weiter.
„Kind im Walde ausgesetzt; Amokläufer wird gehetzt.
Liebespärchen nicht mehr sicher; aus dem Grab erscholl Gekicher.
Explosion im Eisenwerk, Frau geklaut und nicht gemerkt.
Überfall auf alte Frau; im Bundestag ist groß Radau.
Große Konferenz bei Nasser; in die Milch muß noch mehr Wasser.
Großalarm bei Polizei; Huhn legt 2 Pfund schweres Ei!
Drohbrief an die Tür geklebt; nach dem Tode noch gelebt.
England’s Frauen sind gut dran – kriegen Kinder ohne Mann!
Ehedrama im Tumult; Bombe auf dem Lehrerpult.“
Von der Zeitung fließt das Blut, aber trotzdem B i l d i s t g u t !!!!
Mein Fundstück verzeichnete leider keinen Urheber. Ich habe im Internet aber folgende Namen gefunden: Helene von Kolontay, Birgit Höhmann und Ulla Thiele.
Hallo Martina,
Ich weiss nicht, ob Sie immer noch ein wenig im Buchhandel tätig sind. Jedenfalls schulde ich Ihnen unsäglichen Dank dafür, dass ich das „Gedicht“ über die Bildzeitung, das ich etwa 1965 entweder bei einer Weihnachtsfeier oder bei einem Schuljahrsabschlussfest im Duo mit einer Freundin vor einer vollen Aula aufgesagt habe, wieder gefunden habe. Was mich interessiert, ist die Frage, wie fremd- oder selbstbestimmt die Auswahl war, und vor allem, warum ich nicht das thematisch entsprechende Gedicht von Hans Magnus Enzensberger vorgetragen habe, das weit weniger mit den aufreisserischen Bildzeitung-Schlagzeilen kokettiert, sondern deren Beliebigkeit aufzeigt.