Vermutlich war der junge Fotograf Louis Dodéro aus Marseille der erste seines Berufsstandes, der ein kleines Porträtfoto auf seine Visitenkarte klebte, um für sein Geschäft Werbung zu machen. Kleinere Formate kosten weniger und würden sich besser verkaufen lassen, so seine Überlegungen.
Eine Kamera mit vier Objektiven machte gleichzeitig acht Aufnahmen
Diese bahnbrechende Idee setze aber ein anderer Franzose in wirtschaftlichen Erfolg um: der bis zu diesem Zeitpunkt nur mäßig erfolgreiche Porträtfotograf Adolphe Eugéne Disdéri (1819-1890). Am 27. November 1854 wurde seine speziell für billige Kleinporträts konstruierte Nassplattenkamera patentiert. Die mit vier Objektiven bestückte Kamera nahm auf einer Kollodiumplatte gleichzeitig acht Aufnahmen auf. Dadurch senkte er die Kosten für das einzelne Bild drastisch und machte Porträtfotos auch für den kleinen Mann bezahlbar. Er klebte die Bilder, die eine Größe von etwa 6 x 9,5 cm hatten, auf Kartons von 6,5 x 10,5 cm. Sie erhielten dadurch das Format einer damaligen Visitenkarten und hießen ab sofort nur noch Carte-de-Visite-Fotos.
Napoleon III. sorgte für Millionen Porträtfotografien
Allerdings dauerte es dann noch einige Zeit, bis die neuen Fotos vom Publikum auch angenommen wurden. Disdéri wartete in seinem Atelier in Paris meist vergeblich auf Kundschaft. Erst 1859 änderte sich dies schlagartig: Kaiser Napoléon III. ließ sich von Disdéri porträtieren. Und über Nacht war der Fotograf in aller Munde und die neue Technik trat ihren Siegeszug an.
Millionen Menschen liessen sich in den Fotoateliers in ganz Europa, in den Vereinigten Staaten und in Russland ablichten. Die Fotos wurden leidenschaftlich zwischen Familienangehörigen und Freunden. Man gab sein Carte-de-Visite-Foto bei Besuchen ab und verteilte sie bei Feiern und an Festtagen. So entstand das Erinnerungsbuch oder Familienalbum, das man stolz seinen Besuchern zeigte. Die Fotos wurden einfach in die dafür vorgesehenen Schlitze hinter ein Passpartout gesteckt. Damit entfiel das bisherige mühsame Aufkleben der Bilder.
Zum Foto das passende Album – Carte-de-Visite-Alben überschwemmten den Markt
Der Markt wurde mit Carte-de-Visite-Alben schnell förmlich überschwemmt. Es gab einfache Ausführungen, die sich jeder Haushalt leisten konnte und regelrecht Luxusexemplare aus Leder, Plüsch, Stoffen oder Samt mit kostbaren Schliessen und Verzierungen aus Bein, Perlmutt, oder sogar Edelsteinen. Viele dieser Alben haben die Zeiten überdauert und sind heute gesuchte Sammlerobjekte. Es gibt sogar Stücke mit eingebauten Spieldosen oder Uhren.
Werbewirksame Rückseiten – kunstvolle Reklame für Fotografen
Die geschäftstüchtigen Fotografen entdeckten schnell die Reklamewirksamkeit der Rückseiten der Carte-de-Visite-Fotos und verwendeten sie schon bald als Werbefläche für ihre Eigenwerbung. Anfangs wurden nur einfach Stempel verwendet, doch schon bald wetteiferten die Lichtbildkünstler um die prachtvollsten Aufdrucke. Der Ateliername wurde mit Blumenranken geschmückt, umrahmt mit Vögeln, Putten und Ornamenten oder auch mit Abbildungen von Kameras und dem Fotografen bei der Arbeit.
Man prahlte mit errungenen Auszeichnungen, Medaillen und adeliger Kundschaft. Damals war Deutschland ja noch in zahlreiche kleine Länder, Fürstentümer und Staaten zersplittert und so gab es manchen Hof-Fotografen. Diese überaus kitschig bis kunstvoll gestalteten Rückseiten sind oft interessanter als die Porträt-Fotografie auf der Bildseite. Und viele Carte-de-Visite-Fotos werden heute gerade wegen ihrer Rückseiten gesammelt, die viele Rückschlüsse auf die Fotografiegeschichte zulassen.
Sammlerpreise für Carte-de-Visite-Fotos und -Alben
Die Preise für Carte-de-Visite-Fotos hängen sehr stark vom abgebildeten Motiv, dem Fotografen und der gestalteten Rückseite ab. Das Spektrum reciht von unter 5 Euro bis zu etwa 100 Euro. Spitzenstücke erzielen auch höhere Preise. Bei den Alben (ohne Fotos) bewegen sich die Preise zwischen 20 bis weit über 1.000 Euro. Gerade bei den Alben sollten Sie auf den Erhaltungszustand achten. Häufig sind die Papp-Stege, die die Bilder halten, eingerissen oder fehlen sogar ganz. Beim Einstecken der Fotos sollte man sehr vorsichtig sein, da diese schmalen Papp-Stege sehr empfindlich sind.
Es gibt noch zahllose Carte-de-Visite-Fotos auf Flohmärkten, im Handel und bei Online-Auktionen. Eine Spezialisierung auf ein Gebiet ist sinnvoll, da man sonst von der Vielzahl an Material förmlich erschlagen wird. Sammeln Sie doch Fotos von Fotografen aus Ihrer Heimat oder nur Bilder von Uniformierten oder von Männern mit Vollbärten. Ihr Geldbeutel wird es Ihnen danken.
Die Fotosammlung des Münchner Stadtmuseums
Die Sammlung Fotografie im Münchner Stadtmuseum hat eine große Sammlung zum Thema Carte-de-Visite-Fotografie. Neben über 2.500 Alben umfaßt die Sammlung zahllose Carte-de-Visite-Fotos und andere Belege zum Thema.
Einkaufsquellen für Sammler
Das Antiquariat „Die Bücher-Berg“ bietet einige Carte-de-Visite-Fotos in seinem Online-Shop an. Weitere Bezugsquellen sind natürlich Flohmärkte und die bekannten Online-Auktionshäuser. Hier kann man noch manchmal Schnäppchen machen, wenn man ganze Konvolute kauft. Übrigens werden in Kleinanzeigen oder auch bei ebay Carte-de-Visite-Fotos gern mit CDV abgekürzt. Kontakt zu anderen Sammlern können Sie über das SammlerNet.de knüpfen. Hier finden Sie bestimmt auch den einen oder anderen Tauschpartner.
Quellen:
- Günther Kadlubek: Carte-de-Visite und Cabinett in Trödler- und Sammler-Journal 3/2000
- Rolf Bühler: Nicht nur vergilbte Erinnerungen in SAMMELN 6/1986
- Uwe Scheid: Photographica sammeln *
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Text und Reproduktionen: © Martina Berg