Marcus Vaillant bietet eine Dienstleistung an, die vor allem für Sammler alter Dokumente und Briefe von Interesse sein dürfte. Er überträgt Texte aus der früher üblichen Schreibschrift (meist Sütterlin) in unsere, heute gebräuchliche Schrift. In diesem Gastartikel stellt er sich und seine Arbeit vor.

Wenn meine Großmutter schrieb – Einkaufszettel, Briefe, Postkarten usw. – waren die meisten Wörter für mich als Kind unleserlich und bestanden aus kryptischen Zeichen. Auf meine Frage hin, warum sie so komisch schreibe, entgegnete sie, so habe sie schreiben gelernt. Mehr Informationen gab es damals für mich nicht. Meine Großmutter hat natürlich in Sütterlin geschrieben, wie ich dann erfahren habe und ich begann, mich für diese Schrift zu interessieren und später lesen zu lernen.

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Damit wurde das Fundament für den Transkriptionsdienst, den ich heute mit meiner Frau zusammen betreibe, gelegt. Ich übertrage alte Dokumente, etwa Feldpost, Briefe, Postkarten, Urkunden, genealogische und andere Schriftstücke, die in deutscher Schreibschrift (Kurrent-, Sütterlin-, Offenbacher Schrift etc.) verfasst worden sind, in heute lesbare Schrift. Um der unterschiedlichen Verwendung einer Transkription Rechnung zu tragen, biete ich zum einen eine diplomatische Transkription an, eine eher wissenschaftlich ausgerichtete, genaue und fast mit dem Original identische Übertragung. Zum anderen ist eine lesbare Transkriptionsvariante wählbar. Hierbei werden Ergänzungen und Interpretationen hinzugefügt, Abkürzungen aufgelöst.

Die Schriftstücke, die ich für eine Übertragung erhalte, sind sehr unterschiedlich. Vom wunderbar lesbaren Brief bis zur hingekritzelten Postkarte ist alles vertreten. Zwischenzeilig oder übereinandergeschriebene Wörter stellen eine echte Herausforderung dar und manches, Durchgestrichenes etwa, kann leider nicht entziffert werden.

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Diejenigen, deren Interesse nun geweckt ist, möchte ich für weitere Informationen auf unsere Webseite verweisen: www.schriftatelier.net. Wer sich mal selbst an einer Übertragung der deutschen Schreibschrift versuchen möchte und kaum oder keine Kenntnisse besitzt, erhält mit den folgenden Zeilen bestimmt die eine oder andere wertvolle Information, die einen Leseeinstieg erleichtert.

Einstieg in das Lesen der deutschen Schreibschrift

Der Leseanfänger der deutschen Schrift sollte idealerweise mit der Sütterlinschrift beginnen und sich mit dieser beschäftigen. Warum ist diese Vorgehensweise sinnvoll? Dazu werde ich kurz die Entstehung der Sütterlinschrift erläutern.

Die Schrift des 18. und 19. Jahrhunderts

Im 18. und 19. Jahrhunderts wurde in Deutschland die Kurrentschrift, eine Variante der deutschen Schreibschrift, gelehrt und geschrieben. Während im 18. Jahrhundert der breite Federkiel das verbreitete Schreibwerkzeug war, verdrängte im Verlauf des 19. Jahrhunderts die von England übernommene spitze Stahlfeder den Kiel und bewirkte eine veränderte Schreibtechnik: mit einer verkrampften und unnatürlichen Handhaltung sowie mit dem sogenannte Schwellzug – dieser bewirkte eine alternierende Strichstärke der Buchstaben – war die Kurrent nicht nur schwer zu schreiben, sondern auch schwer zu erlernen.

Aber nicht nur die Schreibtechnik, sondern auch das Schriftbild wandelte sich. Erschien die Kurrent des 18. Jahrhunderts eher rustikal und derb, wechselte die Schrift nun zu einem filigranen, später auch zu einem verschnörkelten und unleserlichen Bild: mit Fortschreiten des 19. Jahrhunderts wurde die Schrift oft in einer extremen Schräglage (45° etwa) geschrieben und es entwickelten sich überdimensionierte Ober- und Unterlängen bei verhältnismäßig kleinen Mittellängen. In Folge reduzierte sich die Lesbarkeit der Schrift.

Die Schrift zu Beginn des 20. Jahrhunderts

Die schwierige Erlernbarkeit und umständliche Schreibtechnik einerseits, die Problematik der Lesbarkeit andererseits, veranlasste die preußische Regierung Anfang des 20. Jahrhunderts zu einer Schriftreform. Der Grafiker Ludwig Sütterlin wurde vom preußischen Kultusministerium beauftragt, eine neue Schrift anzufertigen. 1911 gestaltete er u.a. eine deutsche Schrift, die uns bekannte Sütterlin als Schreiblernschrift. Sie wurde 1914 zunächst versuchsweise an preußischen, bis 1930 an fast allen deutschen Grundschulen eingeführt und gelehrt. Von 1935 bis zum Normalschrifterlass 1941, lernten die Kinder Sütterlin in einer etwas geänderten Form: die Deutsche Volksschrift.

Änderungen Ludwig Sütterlins in seiner Schrift gegenüber der Kurrent

Sütterlin konzipierte seine Schrift in einer gleichbleibenden Strichstärke, somit entfiel die schwer erlernbare Technik des Schwellzugs. Die Buchstaben werden nicht in Schräglage, sondern steil geschrieben und die großen Ober- und Unterlängen erscheinen nun mit der Mittellänge in einem gleichen Verhältnis: 1-1-1; die Buchstaben wirken offen und klar.

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Schrift Ende des 19. Jarhunderts
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Sütterlinschrift

Ludwig Sütterlin erschuf somit eine, aus leicht zu lernenden und zu schreibenden Buchstaben bestehende Schreiblernschrift. Die Buchstaben wirken einfach und klar und sind auf das Wesentliche, auf das Charakteristische der deutschen Schrift reduziert.

Dadurch ist die Sütterlinschrift als idealer Lerneinstieg für die deutsche Schrift zu sehen. Hier kann der Interessierte ansetzen, um sich zunächst mit Sütterlin zu beschäftigen und Sütterlin-Texte übertragen zu lernen. Ist erst eine gewisse Lernsicherheit erreicht, lassen sich, da die Buchstabenformen sich nicht sehr unterscheiden, Schriftstücke in Kurrent oder in anderen deutschen Schreibschriften dann recht schnell entziffern.

Text und Abbildungen: © Marcus Vaillant
www.schriftatelier.net