Eine der wenigen literarisch tätigen Frauen aus dem Mittelalter, deren Werk und Name bis auf unsere Zeit überdauert hat, war Roswitha von Gandersheim (um 935 – um 975/80). Sie lebte als Stiftsdame im sächsischen Kanonissenstift Gandersheim. Herzog Liudolf von Sachsen gründete das Stift 852, es bestand bis 1810. Die heutige Stadt Bad Gandersheim (Niedersachsen) ist daraus entstanden.
Über das Leben der Roswitha von Gandersheim (die auch Hrotsvit von Gandersheim, Hrotswith, Hrosvith, Hroswitha oder Roswith genannt wurde – Roswitha ist die modernisierte Form all deser Namen) wissen wir leider nur wenig. Vermutlich entstammt sie einer sächsischen Adelsfamilie. Weder Geburtsort noch ihr Grab konnten bisher ermittelt werden.
Ihr Werk enthält einige Hinweise auf ihre Erziehung und ihr Leben und Studium im Stift. Scheinbar war sie eine hochgebildete Frau, die sich dem Studium der klassischen „Sieben Freien Künste“ Arithmetik, Astronomie, Geometrie, Gramattik, Musik, Rhetorik und Dialektik widmete. Wie in den damaligen Nonnenklöstern üblich, führte Roswitha ein religiöse, stark reglementiertes Leben.
Drei Schaffensperioden
Ihr literarisches Werk wurde von Roswitha selbst in drei Kategorien eingeteilt, die ihren Schaffensperioden entsprechen:
Die acht christliche Legenden (das Legendenbuch) entstanden wohl bereits vor 959 und waren ihrern Äbtission Gerberga gewidmet. Sie erzählt das Leben Marias, Christi Himmelfahrt sowie die die Lebens- und Leidensgeschichten der Märtyrer und Heiligen Gongolf, Pelagius, Theophilius, Basilius, Dionysius und Agnes.
Die Dramen Roswitha von Gandersheims
Ab etwa 963 entstanden die sechs überlieferten Dramen.In ihnen zeigen sich die umfassende Bildung und das literarische Talent der Roswitha von Gandersheim ganz besonders. Sie verstand es, ihr Wissen und ihre Kenntnis antiker Dichtung mit christlichen Motiven zu unterhaltsamen und moralisch lehrreichen Stücken zu verschmelzen. Als Vorbild dienten ihr ganz offensichtlich die Komödien des römischen Dichters Terenz (um 190 – 159 v. Chr.).
Hier die Titel der Dramen (oder auch Dialoglegenden):
- Die Bekehrung des Feldherren Gallikan
- Die Leiden der heiligen Jungrauen Agape, Chionia und Irene (auch „Dulcitius“ genannt)
- Die Auferweckung der Drusiana und des Calimachus
- Fall und Buße Marias, der Nichte des Einsiedlers Abraham
- Die Bekehrung der Buhlerin Thais (auch „Paphnutius“ genannt)
- Die Leiden der heiligen Jungfrauen Fides, Spes und Caritas
Thematische schließen sich die Dramen stark an die Legenden an. Roswitha stellt meist Frauen als Heldinnen in den Mittelpunkt ihrer Dramen. Dabei betont sich die besondere Klugheit und den Mut gegenüber den meist gewalttätigen Herrschern. Eine Form der frühen weiblichen Emanzipation!
Die letzte Schaffensperiode – Roswithas Epen
Die letzte Schaffensperiode der Roswitha von Gandersheim umfaßt zwei historische Epen, die vor 974 entstanden. Darin verherrlicht sie die ottonische Kaiserdynastie und das Stift Gandersheim.
In „Die Taten Ottos I.“ beschreibt sie die Zeit von der Wahl König Heinrichs I im Jahr 919 bis zur Krönung Kaiser Ottos II. im Jahre 967. Das Epos „Die Anfänge des Stiftes Gandersheim“ umfaßt die Geschenisse im ersten Jahrhundert der Stiftsgeschichte bis zum Tod Kaiser Ottos I. im Jahre 973.
Man geht heute davon aus, daß während der gemeinsamen Mahlzeiten der Nonnen im Stift Gandersheim aus den Werken Roswithas vorgelesen wurde. Außerdem gibt es Anhaltspunkte für die Inszenierung der Dramen in den folgenden Jahrhunderten.
Die erste gedruckte Ausgabe veranlaßte der Humanist Conrad Celtis 1501. Illustriert wurde diese Ausgabe mit Holzschnitten aus Albrecht Dürers Werkstatt (die Ausgabe hätte ich gerne in meiner privaten Bibliothek!).
Celtis hatte eine Handschrift der Werke Roswithas aus dem 10. Jahrhundert im Kloster St. Emmeram bei Regensburg entdeckt und ihre Bedeutung erkannt. Die Bayerische Staatsbibliothek München ist heute glückliche Besitzerin dieser Handschrift.
Heute gelten die Werke Roswithas als bedeutende literarische Zeugnisse der mittelalterlichen Kultur. Und Roswitha von Gandersheim als die erste deutsche Dichterin.
Übersetzungen gibt es heute in vielen Sprachen und vereinzelt wurden ihre Dramen – meist in überarbeiteter, modernisierter Form – auch auf die eine oder andere Bühne gebracht. Natürlich auch oft im Rahmen der alljährlich stattfindenen Gandersheimer Domfestspiele.
Bad Gandersheim – die Roswithastadt
In Bad Gandersheim spielt Roswitha von Gandersheim eine große Rolle – überall in der Stadt erinnern Denkmäler, Brunnen und Gedenksteine sowie das Roswitha-Fenster in der Stiftskirche an die große Dichterin. Und wer einmal auf den Spuren Roswithas in Bad Gandersheim wandel will, der kann an einer Stadtführung zu diesem Thema teilnehmen.
Weiterführende Informationen:
Text & Fotos: © Martina Berg (www.bogensportdeutschland.de)